Sonntag, 14. April 2013

Staatsstreiche I

"acta de opción por la nacionalidad"
oder wie Dani Argentinier wurde

Vorwort:
Wer behauptet, Beamte seien langweilig und vollständig humorlos? Kann es mir nicht erklären. Klar ich habe mich in der Vergangenheit öfters über die Bürokratie und Bürokraten ausgelassen. Ich beabsichtig auch nichts davon zurück zunehmen. Dennoch ist es Zeit auch andere Seiten aufzuzeigen. Eines vorweg, ich verstehe diesen Humor nicht, er muss aber vorhanden sein. Anders kann ich mir die vielen Streiche nicht erklären, die mir der argentinische Staat spielte.

Der Grund, weshalb ich die Geschichte von mir, als Ich, zum Argentinier erzählen möchte, ist aber ein anderer. Ein Ämtertrauma hat mich ergriffen. Schlendere ich an einem Amt vorbei schnellt mein Puls in die Höhe und ich bekomme Hühnerhaut. Da ich nun so viele davon kenne, erweist sich mein Leben hier als Kreislaufachterbahn. Damit soll Schluss sein, schreib ich es mir doch von der Seele!
Alles ganz einfach
Eigentlich erscheint der Weg zur Staatsbürgerschaft ziemlich einfach - formal. Pack in deine Tasche deine Geburtsurkunde (natürlich mit Apostille und übersetzt), den argentinischen Personalausweis (D.N.I.) deiner Mutter (wie man zu dem kommt, würde den Rahmen der Geschichte sprengen) und eine langweilige Lektüre. Die D.N.I. zeigt die Staatsbürgerschaft deiner, also meiner Mutter und die Geburtsurkunde beweist, dass ich ihr Sohn bin. Logisch. Die Zeitschrift ist für die Wartezeit; langweilig weil man doch nicht zum lesen kommt. Dann geht's ab aufs Einwohneramt. Und fertig...

Einwohneramt früh Morgens:
...wäre da nicht die Geburtsurkunde seiner Mama. Die sollte er auch haben, erklärt die freundliche Beamtin. Ich erklärt freundlich die hätte er nicht aber dafür die D.N.I. Das sei schön, die Urkunde brauche er aber um zu beweisen, dass seine Mama hier geboren sei und nicht eingebürgert. Urkunde in der Schweiz, Ich an der Avenida Paseo Colón. Und die Geschichte beginnt.

Ich: Leidender Blick

Nette Dame: Lässt sich erweichen.

Nette Dame: "Dann geh doch mal zum Staatsarchiv und frag nach einer Kopie der Familienakte."

Ich: "Aber so eine Familienakte mussten wir doch bereits vor drei Monaten für meine Mama beantragen. Kann man nicht die brauchen?"

Nette Dame (fröhlich): "Nein das war doch für ein anderes Amt, das zählt nicht."

Ich: Dankt und verlässt Ministerium. Nach einem Marsch durch die ganze Innenstadt erreicht er das Archiv.

Staatsarchiv Pre-Informationsschalter:
Ich: "Ich brauche dringend eine Kopie der Familienakte, wie bekomme ich die?"

Beamtin Alejandra: "Kein Problem, für 50 Dollar kannst du ein Eilverfahren beantragen und du hast die Kopie schon morgen!"

Ich: "Aber dann verfällt mein Termin im Einwohneramt, der ist doch nur für heute gültig (eigentlich nur von 8-9 Uhr)"

Beamtin Alejandra: Schaut Ich kompromisslos an.

Ich: Trottet resigniert zum Schalter 3

Schalterdame 3: "Kopie von der Familienakte, klar, zeig mal die D.N.I. deiner Mutter."

Ich: Sucht Ausweis unter den vielen Dokumenten

Schalterdame 3: "Ach so doof! Wir haben nur ab Jahrgang 80 die Akten digitalisiert. Du musst dich trotzdem eine Woche gedulden. Da muss jemand ins Archiv runter und suchen."

Ich: Fällt auch beinahe runter durch den Boden ins Archiv und verlässt das Amt, sich kleinlaut bedankend. Organisiert anschliessend den Erhalt des Originaldokuments aus der Schweiz per Post.

Zehn Tage später, Paseo Colón:
Ich: Wieder im Einwohneramt. Der Geburtsschein war schnell in Buenos Aires, Ich hatte aber keinen Termin mehr und zudem wurde die Osterzeit über sechs Tage zelebriert (dank allgemein unbekannter Feiertage). Also zehn Tage Wartezeit.
Am Schalter will man Ich abwimmeln. Er solle aufs Migrationsamt, hier sei nur für Argentinier. Aber das versuche er doch krampfhaft zu werden, antwortet Ich. Ein Lächeln huscht übers Gesicht des Beamten. Wenn das so sei, solle er zum Schalter 8 und er wünscht ihm Glück. Ich weiss nicht, was er davon halten soll. 

Schalter 8, Wartenummer 788:
Nette Beamtin 1: "Ja alles super, die Dokumente sind komplett, frage aber zur Sicherheit die Chefin"

Nette Beamtin 2 (ungeduldig): "Hola ich bin die Chefin hier (sorry nette Beamtin, grimmige Chefin), die Übersetzung ist ok, braucht aber eine Apostille.

Ich: "Hat sie ja, sogar auf spanisch!"

Grimmige Chefin: "Ja aber auf dem Original, auf der Übersetzung braucht's auch eine und zwar von der argentinischen Botschaft in Bern"

Ich: Verzweiflung macht sich auf seinem Gesicht breit. 

Grimmige Chefin: Erweicht sich und klopft Ich auf die Schulter, wird liebe Chefin.

Liebe Chefin: "Geh doch zur Kanzlei und frag was da zu machen sei. Vielleicht gibt's ne Lösung, z.B. schickste die Übersetzung in die Schweiz und die machen das und dann zurück. Geh mal fragen, viel Glück!"

Ich: Erhält einen Zettel mit seiner nächsten Aufgabe


Kanzlei, Platz San Martín, Infoschalter:
In der Zwischenzeit hat Ich bereits eine internationale Geburtsurkunde im Einwohneramt St.Gallen bestellt.

Gutbeleibter Beamter: "Ach was, eine Botschaft hat keine Apostille, die muss vom Schweizer Amt kommen und das hat sie ja."

Ich (euphorisch): "Super! Dann passt alles?"

Gutbeleibter Beamter: "Ne ne, du brauchst doch eine Zertifizierung, dass die Übersetzung vom Original gemacht wurde"

Ich: erbleicht

"Aber kein Problem, dafür musst einfach ins Schreiberkollegium, hier schreibs dir auf. Viel Glück!"
Nächste Aufgabe
Strasse Callao und Las Heras am Infoschalter:
Hilfsbereiter junger Kerl: "Ach, da biste falsch bei uns. Wir beglaubigen nur Zertifizierungen, sorry aber dafür musst du ins Institut Olivares. Nimm den Bus 102. Bis bald!"

Ich: "Bis bald, wieso?"

Ich: Hofft es sei nur die Floskel "hasta luego" gewesen

Hilfsbereiter junger Kerl: "Na klar, du musst doch nach der Zertifizierung die Beglaubigung von der Zertifizierung machen lassen."

Hilfsbereiter junger Kerl: Lächelt

Ich: Zieht ein "wieso? was ist der Unterschied" in Erwägung. Macht aber Kehrt und steht auf der Callao.
Natürlich mit nächstem Zettel
Institut Olivares:
Bärtiger Experte: "Aber sicher können wir dir die Kopie zertifizieren. Zeig mal her."

Ich: Zeigt her.

"Aber das sind viele Blätter, es kostet pro Blatt. Und da ist ja auch eine Übersetzung angeheftet! Ich kann doch keine Übersetzung zertifizieren. Ich zertifiziere nur Kopien von einem Original!"

Ich: "Okay, dann lass die Kopie weg. Ich brauche nur eine Zertifizierung der Kopie vom Original, die sagt, dass die Kopie eine Kopie vom Original ist. Ich muss doch die Zertifizierung von der Kopie anschliessend beglaubigen lassen können, dass ein zertifizierte Kopie vom Original übersetzt wurde von einem Übersetzer, der das notariell beglaubigt hat."

Bärtiger Experte (leicht genervt): "Ist mir doch alles klar (Ich: denkt zumindest sei es einem klar). Dafür musst du aber eine Kopie vom Original machen und anschliessend zu uns kommen und die Kopie zertifizieren lassen. Nachher musst du eine Übersetzung machen lassen, die notariell beglaubigt ist. Ich kann doch nicht in eine bereits übersetzte Kopie eines Originals eine Zertifizierung der Kopie des Originals einfügen! Das ist ja schon alles zusammen getackert!"

Ich: Ihm scheint alles ziemlich spanisch. Und bleibt hartnäckig auf seinen Beinen stehen. 

Bärtiger Experte: "Na okay, ich nehme die Klammern raus und suche einen Platz für die Zertifizierung, wo keine Stempel von der notariell beglaubigten Übersetzung sind. Aber bleibt unter uns klar."

Ich: "Klar."
Zertifiziert
Ich: Versteht nichts, wartet, nimmt die Kopie des Original (das Original wurde nie verlangt) mit Zertifizierung und zahlt die Rechnung. Der leidende Blick weicht einem verwirrten. Bus 102 kommt. Ich steigt ein.

Busfahrer: "Wohin?"

Ich: "Zurück."

Busfahrer (leicht erstaunt und amüsiert): "Warst du im Institut?"

Ich: "Ja."

Busfahrer: "Ok, also Kollegium, setz dich."

Strasse Callao und Las Heras am Infoschalter:
Hilfsbereiter junger Kerl: "Hola! Hat aber ganz schön gedauert! Jetzt aber in den 1. Stock, dort kannst du die Beglaubigung machen lassen."

Ich: "Mhm."

Schalter 4, 1. Stock:
Ich: Schaut sich um. Sieht überall Stuhlreihen, besetzt mit meist schlafenden Personen. Einige lesen eine langweilige Lektüre. Der Mut von Ich sinkt.

Herr des Schalters: Emsig stapelt er Papiere, auf einem langen Tisch versucht er Ordnung in die Akten zu bringen. Rund 2 kg Papier fallen zu Boden.

Ich (schüchtern): "Entschuldigung! Kann ich hier meine Zertifizierung der Kopie des Originals beglaubigen lassen?"

Herr des Schalters: "Ja ja, leg alles auf die Theke und zahl an Schalter 7. Kannst in einer Stunde wieder kommen, dann ist alles fertig"

Ich: Legt das Dokument auf die Theke bevor es vom Herrn in einen Stapel gezogen wird. Ich schaut seinem Dokument sehnsüchtig nach.

Schalter 7, 1. Stock:

Ich: "Ich würde gerne bezahlen."

Dame der Kasse: "Sicherlich was denn? Wo ist deine Quittung?"

Ich (verwirrt): "Quittung? Hab ich nicht, ich will nur die Beglaubigung meiner Zertifizierung bezahlen."

Dame der Kasse: "Waaass?"

Herr des Schalters: Lehnt sich über die Theke.

Herr des Schalters: "Moni ist alles okay, er bezahlt 90."

Ich: Bezahlt anstandslos und verlässt den 1. Stock in Richtung Empanaderia und bestellt sich vier frittierte Empanadas (ungefähr eine für jede Stunde auf dem Amt heute). Ich blättert gelangweilt in der langweiligen Lektüre. 52 Minuten später steht er erneut an Schalter 4. Er erblickt die gleichen schlafenden Menschen und sieht, dass die Lesenden, genau wie er, nur etwa zwei Seiten geschafft haben.
Ich befürchtet Schlimmes! Und wagt sich in der Reihe nach vorne.

Herr des Schalters (beschäftigt): "Ja?"

Ich: "Ist meine Beglaubigung bereits fertig?"

Ich: Verspürt ein leichtes Zittern in den Beinen und trotz der Empanadas fühlt sich sein Mund trocken an.

Herr des Schalters: "Du? doch ist schon seit einer Weile fertig, du bist doch der mit dem komischen Nachnamen? Schlie... Schlierz.. ach schon gut, hier! Bis bald."

Ich: Greift zu und hofft erneut, dass es sich bei den letzten Worte bloss um eine Floskel handelt.
Beglaubigt
Ich: Macht sich leicht apathisch auf den erneuten Weg zum Einwohneramt. Er hat Bauchschmerzen und redet sich ein das käme von den Empanadas. Er weiss eigentlich besser wovon...