Montag, 1. Juli 2013

Kleinkrämertrauma

Eine Frage der Perspektive? Ja, doch, eigentlich stimmt das. Es kursieren hier in Buenos Aires ja Gerüchte, dass ich aus der Schweiz stamme. An jedem Gerücht ist ein Teilchen Wahrheit dran, bei diesem wohl, dass ich wirklich von dort komme. Das Munkeln geht aber weiter, nämlich ich lebe in den Bergen, links wie rechts ein 4000-er vor der Nase, wenn ich am frühen Morgen Wasser aus dem Brunnen Wasser schöpfen gehe.
Blick aus dem Plumpsklo hinterm Brunnen 
Die mitleidigen Gesichter entspannen sich dann aber bald, wenn ich ihnen erzähle, dass ich nun in Buenos Aires wohne. So sei ich endlich in der grossen Welt angekommen, im Zentrum. Bis anhin dachte ich das immer, wenn ich mit dem Zug in Zürich einfuhr - am Nabel der Welt. Weit verfehlt, mit Buenos Aires sei ich bereits in meinem jungen Alter am Zenit angekommen. Okay - verstanden - akzeptiert.
Grössenwahn? ach ne, dank eines lieben Freundes habe ich verstanden, was passiert, ich scheine argentinisiert zu werden. Ich dachte ja noch, dass sei schon geschehen. Auf meinem Weg zum Argentinier musste ich einige meiner lieb gewonnen Eigenschaften abstreifen. Der Prozess sei aber weit subtiler.
Plötzlich ist einem nichts mehr zu gross. Man schreitet mit einer kühnen Selbstverständlichkeit durchs Leben.
Grössenverhältnis 
Anstatt am Fuss des Berges zu stehen, befindet man sich unvermittelt auf dessen Spitze und überblickt das Geschehen und was geschehen ist.
Weit...
...und weiter
Man isst keinen einfachen Pancho mehr, sondern nur noch Super-Panchos mit Lluvia (= Brot mit Würstchen, garniert).
Super
Steht man dann aber aus alter Gewohnheit plötzlich morgens am Wasser und bemerkt, dass das zu schöpfende Wasser einen allzu salzigen Beigeschmack hat, kommt das Bewusstsein zurück. Na ja, Weite, Grösse ist ganz schön, doch nur ein breiter Horizont lässt nicht mehr erkennen...

Mehr oder weniger
An dieser Stelle, merci CW für die schönen Bilder. Und ein ganz spezieller Dank geht an Herrn T., der mich so vortrefflich fotografiert hat!!

Sonntag, 9. Juni 2013

Nachtrag


Zu vermieten: Kundenmangel?

País de la plata

Auch schon vor hundert Jahren wurde vielen Menschen versprochen, das Gold liege in Argentinien. Meist im übertragenem Sinne. Die Reise auf die andere Seite der Welt war aber für die meisten Auswanderer durch die Hoffnung auf Wohlstand geleitet.
Ich würde lügen, behaupte ich, ich sei ein Wirtschaftsflüchtling. So bin ich wohl eher ein Hoffnungstourist oder es hat mich kurzum hierher verschlagen. Was vom Wunsch des Überflusses übrig blieb, interessiert mich dennoch nicht weniger. Und ja - ich erblickte des öfteren Grenzenlosigkeit. Nur schon die Orte, die ich besuchen durfte, vermittelten mir eine Unendlichkeit. Ich wollte mich natürlich vergewissern und das Ende suchen. So schwang ich mich auf ein Fahrrad und fuhr los. Meine letzte Kraft gab ich in die Pedale, von einer Grenze nicht die Spur. So kehrte ich nach einer Stunde wieder um.
Endlos
Also an Weite fehlt es nicht. Das riesige Land mit ihrer Erde wird auch rege genutzt. Bin ich im Supermarkt und will ein bescheidenes Abendbrot - Brot, Käse, Wurst - zusammenstellen, entscheide ich mich doch meist eher für ein saftiges Stück Rindfleisch. Für meinen Geldbeutel ist das die sparsamere Variante. Schreite ich weiter zur Getränkeabteilung übersehe ich wissentlich die Saftabteilung und nimm mir lieber einen gegorenen. Zugegeben, der Wein ist teurer als Wasser, aber das Kosten-Nutzen Verhältnis spricht Bände.
Kosten-Nutzen Verhältnis: Wein:2-Wasser:1
Das letzte Mal hatte ich diese Situation in Bessarabien, jedoch aufgrund von Wassermangel und nicht Weinüberfluss. Kürzlich bei einem Hotelaufenthalt hat sich dieser Eindruck bestärkt. Geniesse den Moment unbezwungen, grenzenlos.
Erwachendes Kopfzerbrechen
 Für die Ernüchterung am nächsten Morgen ist gesorgt. So einfach die Lösung im Hotel schien (nebenbei besten Dank, ich musste am Morgen die Lösung aufgelöst runterspülen) zeigt sie sich im Normalleben nicht.
Zurück im Supermarkt brauche ich noch Olivenöl für mein Steak. Vor dem Regal werde ich aber darauf hingewiesen, dass ich höchstens zwei Flaschen kaufen dürfe. Schockiert wanke ich weiter zur Mateabteilung. Brauche ich doch Yerba (Kraut des Mate-Strauchs) für einen Beruhigungsmate. Da stellt sich mir ein weiteres Schild in den Weg: Maximal 1 Kilogramm pro Person.
Bis anhin hatte ich noch nie den Wunsch, aber die Restriktionen animierten mich zu Hamsterkäufen. Wurden die Kaufmengen doch aufgrund der untragbaren Inflationsrate von der Regierung verhängt. Die Rechnung ist simpel mit einer Inflation von fast 30% (gemäss Regierung rund 10%) ist heute alles günstiger als morgen.
Yerba-Beutel: meist halbleer 
In der Frucht- und Gemüseecke erhellt sich mein Gemüt wieder. Die Auswahl unglaublich! Da liegen Kakis, grosse Avocados, Babybananen und Granatäpfel. Woher diese Exoten stammen und wie sie es bis hierher geschafft haben, verdränge ich und fülle meinen Einkaufsbeutel. Unglaublich, diese Früchte scheinen dem Protektionismus der argentinischen Landwirtschaft und allen Handelshemmnissen getrotzt zu haben.
Na ja! nicht allen! Der Blick auf die Preise lässt mich nach dem Wein in meinem Beutel greifen. Beruhig dich Dani! Orangen schmecken auch gut. Vor den aufgetürmten Orangen kommt meine Ruhe zurück. Preisschild überprüfen: 7.50 Pesos, weiter lesen: Eingefrorener Preis. Fast würde ich der argentinischen Regierung dafür danken, dass sie kurzum 2013 alle Produktpreis in den Supermärkten einfrieren liess. Heute sind einige Preise wieder offen, eine Liste von 100 Produkten (v.a. Grundnahrungsmitteln) soll aber beibehalten werden.
Ohne Mengenbeschränkung fülle ich meine Einkaufstasche und schreite zur Kasse. Lege meine Produkte: Grosses Fleisch, Flasche Wein, kleines Olivenöl, ein Kilo Yerba und zwei Kilo Orangen auf die Theke. Bezahle die Rechnung und warte auf mein Rückgeld. Und warte. In der Kasse gibt's kein Rückgeld. Und warte...

Sonntag, 26. Mai 2013

Es hat Zeit

Es hat sich wohl jeder schon mal die Frage gestellt, ob Unkraut älter wird? Ich ja - und zwar heute. Schien mir heute doch, die Zeit vergehe wie im Flug und Unkraut bekanntlich nie.

Aber zurück zur Realität, zum Jetzt. Umso mehr, da mir von verschiedenen Lesern ans Herz gelegt wurde so zu schreiben, dass man es auch beim ersten Mal lesen versteht. Um realistisch zu bleiben, ich werde es manchmal versuchen.

Formal wurde ich ja vor einer Woche älter. Mit dem Alter erlaubte ich mir ein bisschen kürzer zu treten und ein paar Tage Urlaub zu nehmen. Das Thema Zeit begleitete meine kleine Reise, weshalb ich gerne etwas dazu sagen würde.
Ich besuchte den Westen Argentiniens, die Provinz San Juan an der argentinisch-chilenischen Grenze. Meine Auszeit ist einfach zusammenzufassen. Dani war von früh Morgens...
Früh Morgens
...bis spät Abends draussen unterwegs.
Spät Abends
Manchmal glitt natürlich der späte Abend in den frühen Morgen und umgekehrt - Fazit: unter freien Himmel blieb ich. Unter diesem besuchte ich wundersame Orte. So steinalt, dass sich ein jeder knapp einminütig fühlt.
Steinepochen
Für jemanden wie mich, der Steine ganz gerne mag, eine Reise wert. Insgesamt ein rundes Ding.
Mehrere dieser runden Dinger
Und so bin ich wieder zurück in der Metropole Buenos Aires. Entspannt und erholt nach einer wunderschönen Zeit.
Entspannung
Ach! Ich wollte ja über die Zeit sprechen! Genau. Verpasst. Dann eben zu einem späteren Zeitpunkt.

Sonntag, 5. Mai 2013

Frage an das Volk

Wertes Volk, mir kommt Eure Bezeichnung nur allzu oft unter die Augen. Erklärt mir, dem Narren, doch bitte wer Ihr seid. 

Man sagt ja bekanntlich, dass die Identitätsprobleme in der Pubertät auftauchen. Anscheinend bin ich ein Spätzünder oder ich komme ins Zweifeln, da mir ans Herzen gelegt wird, nun Argentinier zu sein. Aber um ganz ehrlich zu sein, mag ich schlicht dieses Wort Volk nicht. Deshalb entschuldigt mich bitte bereits jetzt, wertes Volk.
Bist du es Volk?
Womöglich gehöre ich jetzt schon nicht mehr dazu, ich meine zum Volk. Dem Duden sei gedankt, definiert er das Volk als eine durch gemeinsame Kultur und Geschichte [und Sprache] verbundene große Gemeinschaft von Menschen. Meine Geschichte reicht ja gerade mal knappe dreissig Jahre zurück, von Sprachen möchte ich lieber gar nicht sprechen, hier in Argentinien versteht man mich manchmal, Leute aus Deutschland loben mich, dass ich ganz gut deutsch spreche und bekanntlich zählt das Schweizerdeutsch ja nicht mal als Sprache. Was bleibt da noch? Okay, die gemeinsame Kultur, erneuter Dank an Herrn Duden, die Gesamtheit der geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen einer Gemeinschaft. Das Volk kann da ja höchstens als geistige Leistung bezeichnet werden, zumindest steckt grosse geistige Vorstellungskraft dahinter. Und jetzt mache ich nicht mal bei dieser Leistung mit. Mein Fazit, ich gehöre nicht zum Volk dazu.
Aber irgendwo bin ich doch auch mit dabei, zumindest bei einer Gemeinschaft (rein mathematisch sicherlich). Vielleicht hilft mir die Sprache weiter. Wenn es auch keine gemeinsame gibt, so haben sie immerhin Gemeinsamkeiten. Übersetze ich das Wort Volk in die Sprachen, die mir geläufig sind, finde ich eine Parallele, die Nation. Also gehöre ich zu einer Nation! Wieso nicht, habe ich mir doch erst kürzlich eine neue Nationalität zu getan. Wie es englisch so schön heisst, habe ich mich naturalisiert. So gehöre ich nun zum argentinischen Volk. Meinen roten Pass habe ich aber auch noch hier. Hmm? zuerst habe gar kein Volk und jetzt plötzlich zwei. Ist denn dieses leidliche Volk etwa die Zugehörigkeit zu einem Staat? dem Schweizerischen oder Argentinischen?
Volk?
Aber das mit dieser Nation ist ja doppelt so verwirrend als das Volk! Hier danke ich dem lieben Benedict Anderson (wir bilden quasi ein Volk oder Nation, da ich zumindest seine geistige Leistung teile). Er spricht von der Nation als kümmerliche Vorstellung, die wohl nicht länger als 200 Jahre existiert. Die Nation ist dabei die vorgestellte Gemeinschaft (mit den genannten Attributen) in einem Territorium, wo wir schon nahe zum Nationalstaat kommen. Aber bitte, liebes Volk, kennt ihr wirklich alle Mitglieder in Eurer Nation, ich zumindest nicht. Woher soll ich da wissen, welche geistigen oder künstlerischen Leistungen ich mit den anderen teile? Ganz zu schweigen von der Sprache, in meinem Volk Nummer 1, wie auch in Nation Nummer 2, weiss ich nur zu gut von sprachlichen Unterschieden. Von kulturellen oder geschichtlichen Gemeinsamkeiten einer Nation zu sprechen, werde ich mich hüten. Vielleicht von meinem nächsten Umfeld würde ich eine Aussage wagen. Alles was darüber hinausgeht ist doch verkappte ethnische Vorstellung einer Nation. Als hätte ich eine nationale Identität mit tausenden von Menschen die ich nicht kenne. Ich besitze lediglich meine kleine subjektive Vorstellung von Werten und Einstellungen. Würde ich diese über ein ganzes Land stülpen, fänden allzu viele Menschen keinen Platz im meinem vorgestellten Volk. Und da kämen wir ganz schnell zum populistischen Weltbild, wo es die richtigen und falschen Bürgern gibt. Und der Feind allzu schnell bei den "Anderen" zu finden ist.
Was bleibt? Na ja, schauen wir die Geschichte mal an, gemeinsame oder nicht. Wir leben in einer Welt, die von stetiger Migration geprägt ist, weit über meine knappen dreissig Jahren und ebenso dem Alter des Nationalstaates hinaus. Sei es im kleinen von der Langstrasse Nr. 12 zur Nummer 143 oder auch weit, zum Beispiel über die Ozeane nach Südamerika oder die Fidschiinseln. Bewegt, entwickelt haben sich alle, wo wir momentan leben entspricht eher einem Zufall. Und so bevölkern wir fröhlich die Welt. Von Nation bleibt da wenig, nur, dass wir uns stets in einem nationalen Territorium befinden. Wer dort lebt würde ich dann doch weit lieber als Bewohner oder meinetwegen Bevölkerung bezeichnen. Quasi ein bürgerlicher Nationalismus, da man unter einem politischen System lebt (das kennt immerhin jeder), das den Zivilbürgern Rechte und Pflichten aufgibt, mit etwas Glück durften die Bürger sogar bestimmen was für Regeln herrschen (wo wir bald zur Frage der Stimmberechtigung von nicht naturalisierten, also Ausländer, sprich Immigranten kommen, aber dazu vielleicht später Freunde der Demokratie). Oder doch - sprechen wir darüber. Wo wir hier über Gemeinschaft diskutieren. Wenn wir schon Gemeinsamkeiten suchen, dann bitte konsequent. Da lebt jeder von uns, wertes Volk, in selbst erdachten Staatsgrenzen. Wieso sollen die Rechte vor Grenzen und Nationalitäten Halt machen. Was sind schon Volksrechte, wenn es das Volk nicht gibt? Lassen wir das Volk und die vergebliche Suche danach. Liegt es nicht näher an das Konzept Mensch zu glauben und auf Menschenrechte zu setzen? Denn wir wissen ja nie, auf welcher Seite von welcher Grenzer wir morgen aufwachen werden. 
Unauffindbar

Mittwoch, 1. Mai 2013

Nachwort Staatsstreiche

D.N.I. und Besitzer
Ich besitzt heute eine D.N.I., bis er jedoch letztendlich die Karte in den Händen halten konnte, verstrichen noch viele Tage. Aus persönlichen Gründen möchte Ich auf die genaue Erläuterung verzichten. Soviel sei gesagt, eines Samstages lauerte er den Postbeamten auf und besetzte schliesslich die Poststelle. Der Autor möchte sich an dieser Stelle für sein Verhalten entschuldigen und hofft auf Verständnis.
Heute ist Ich stolzer Argentino, er hat eine Sozialversicherungsnummer, ist beim Finanzamt registriert und hat sogar ein Lohnkonto. Sogar mit Lohn. Was ihm bis jetzt leider noch fehlt, ist die Bankkarte zu seinem Konto. Davon aber später...

Staatsstreiche II

Zweiter Akt. Pazifische Sommerzeit, der Himmel ist trotzdem dunkel. Ich steht vor dem Ministerium für die Registrierung von Personen, genannt Einwohneramt. Einwohner ist Ich noch nicht. Er tritt schüchtern auf den Eingang zu.

Einwohneramt: Einlasskontrolle:
Wachmann (leicht gestresst): "Turno, Termin? Wo hast du deinen Termin?"

Ich (routiniert): "Hab keinen, mein letzter ist von heute Morgen"

Wachmann: "Ach du, der Schweizer schon wieder, hab dich zuerst nicht erkannt, geh nur rein!"

Ich: Hat den Wachmann erkannt. Trottet weiter. Erkennt beängstigt, dass sich die ganze Belegschaft seit dem Morgen ausgetauscht hat.

Neue weniger nette Dame: "Was brauchst du, wo ist deine Nummer?"

Ich: "Ähm, ich war heute schon mal hier, mir fehlte aber die Zertifizierung, ähh nein, die Beglaubigung, aber die musste ich dann auch... "

Doch ganz nette Dame unterbricht Ich.

Doch ganz nette Dame: "Hab davon gehört geh weiter zur Überprüfung deiner Dokumente, Schalter 2 der kann auch englisch"

Englisch sprechender Beamter: "Cool! Du wirst Argentinier, cool und das als Schweizer, wieso das denn?!"

Ich: "Ja cool..."

Ich und der englisch sprechende Beamte mögen beide das Wort cool, darauf beschränkt sich dann auch die englische Konversation und Ich erzählt ihm seine Leidensgeschichte, er ist auf Mitleidsuche.

Typ vom Schalter 3: "Das tut mir leid. Wärest du doch schon vorher am Nachmittag gekommen, dann sind alle alten Beamte vom Morgen weg und wir jüngeren übernehmen das Ruder. Alles ganz locker, ganz locker. Komm ich nehme deine Personalien auf!"

Ich (glücklich zweifelnd): "Cool, hier all meine Dokumente."

Mädchen vom Schalter 4 schielt rüber. Typ von Schalter 3 nimmt alle Daten auf.

Mädchen vom Schalter 4: "Du bist doch schon mal hier gewesen? Haste jetzt alles, super, komm geh zahlen und ich geh kurz zum Chef für die Unterschrift."

Ich schwebt beflügelt zum dritten Posten - Kasse - zahlt 35 Peso und auf seiner linken Backe lässt sich ein Lächeln erkennen. Mädchen vom Schalter 4 kommt angerannt. Lächeln zieht sich zurück.

Mädchen vom Schalter 4 (auf die Dokumente guckend): "Dani, die Chefin will noch kurz mit dir sprechen und hier ist noch die "Acta de opción por la nacionalidad" musst du unterschreiben."

Ich sieht die Chefin herbeieilen und bemerkt, dass nicht die ganze Belegschaft am Mittag wechselt und unterschreibt rasch auf dem Boden das Dokument. Die ehemals grimmige anschliessend nette und wie sich herausstellt erneut grimmige Chefin stellt sich vor Ich auf.

Grimmige Chefin: "Hola Dani, hast du ja alles ganz gut gemacht aber warum ist die zertifizierte Übersetzung, die du beglaubigen lassen hast nicht an das originale Familienbüchlein geheftet? Das geht so nicht!"

Ich ist im ersten Moment erstaunt, wie simpel sich seine letzten Stunden anhören. Ist dennoch perplex.

Ich: "..."*

Ich bemerkt, dass das Ministerium ein sehr schönes Gebäude ist... un

Ich: "..."*

...und erst die Decke, eine architektonische Meisterleistung.

Grimmige Chefin (wird lieb): "Ach Junge, du siehst fertig aus.  Schau ich versteh dich, aber nicht was du sagst. Geh weiter zum nächsten Schalter und lasst die Dokumente scannen und deine Fingerabdrücke nehmen. Das lässt sich auch so regeln. Anna bring ihn doch gleich zum Schalter."

Ich folgt gefügig dem Mädchen vom Schalter 4, genannt Anna, zum Schalter.

Anna (zur Beamtin am Schalter): "He, Flor hier ist Dani, mach ihm doch eine D.N.I. Er ist Schweizer."

Flor: "Na dann los, ich brauch all deine Dokumente zum Scannen. Dann die Fingerabdrücke, Foto und eine Unterschrift. Geht ganz schnell."

Ich gibt Dokumente, Finger, Autogramm und ein unwirkliches Lächeln für die Kamera. Es geht schnell.

Flor: "So Dani, jetzt noch ein paar Tage warten und du bist einer von uns, Argentino! Gratuliere! Ruf übermorgen an und wir können dir wohl schon vorerst deine D.N.I.-Nummer durchgeben. Gut Glück, chao!"

Ich ab.

Vorhang.
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Übermorgen, pazifische Sommerzeit. Die Sonne scheint. Ich sitzt im Büro und hadert vor den Tasten des Telefons. Er wählt die Nummer, kennt er bereits auswendig wie auch das Prozedere. "Wollen Sie den Status Ihrer Bearbeitung erfahren? Drücken Sie die Eins", Ich drückt die Eins. "Bitte geben Sie ihre D.N.I.-Nummer ein und bestätigen Sie mit der Rautetaste", Ich gibt irgendwas ein, er hat ja keine Nummer. Die sympathische Telefonstimme wiederholt die Nummer und fragt: "Ist die Nummer korrekt? Dann drücken sie die Eins". Ich drückt die Eins. "Für Ihre Anfrage müssen wir Sie mit einem Mitarbeiter verbinden, bitte warten Sie". Ich wartet, es läuft schöne Musik, allmählich kann er neben der Nummer auch den Song auswendig. "Knock-knock-knockin' on...", es knackt in der Leitung "Hola, wie kann ich Ihnen helfen?". Ich erklärt sein Anliegen und erhält eine unverständliche Antwort. Irgendwas stimme da nicht, storniert, Prozess nicht weitergeleitet. Ich versteht nur spanisch.

Zweiter Versuch mit Unterstützung eines Arbeitskollegen erbringt das gleiche Resultat. Ich ist stolz, er versteht mehr spanisch als ihm lieb ist. 
Ich verzweifelt, irgendein Dokument fehlt.


Einwohneramt: Einlasskontrolle (30 Minuten später):
Wachmann: "Ach schon wieder da, weisst ja wie du reinkommst."

Ich tritt ein zielstrebig den Schalter anstrebend. 

Typ vom Schalter 3: "Hey, schon wieder da, wie geht's?"

Typ vom Schalter 3 gibt Ich Küsschen, Ich gibt Typ vom Schalter 3 Küsschen, wie es sich in Argentinien für altbekannte gehört. Da kommt Mädchen vom Schalter 4, nun vom Schalter 6, vorbei.

Mädchen vom Schalter 4: "Hola, wieder hier?"

Ich gibt Küsschen.

Grimmige Chefin: "Ja ja, da hat was nicht geklappt, wo hast du denn deine "acta de opción por la nacionalidad" die wurde nicht gescannt, die hättest du unterschreiben müssen und ab in den Scanner!"

Ich gibt kein Küsschen und hält seine Acta hin, unterschrieben, doch wollte sie vor zwei Tagen niemand haben.

Grimmige Chefin: "Na dann, ab zu Flor, weisst ja wo sie sitzt. Zahlen musst du nicht noch einmal, ist schon okay."

Nicht wirklich dankbar schlendert Ich zu Flor.

Flor: "Hola, also das ganze nochmal?"

Ich bestätigt, gibt Küsschen.

Zehn Minuten später ist Ich zum zweiten Mal Argentinier geworden. Er dankt, verteilt Küsschen und verlässt das Ministerium. Sich selbst wünscht er Glück...

Ich ab.

Vorhang
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*Der Autor kann und will sich bei reinstem Gewissen nicht mehr an den genauen Wortlaut von Ich erinnern.








Sonntag, 14. April 2013

Staatsstreiche I

"acta de opción por la nacionalidad"
oder wie Dani Argentinier wurde

Vorwort:
Wer behauptet, Beamte seien langweilig und vollständig humorlos? Kann es mir nicht erklären. Klar ich habe mich in der Vergangenheit öfters über die Bürokratie und Bürokraten ausgelassen. Ich beabsichtig auch nichts davon zurück zunehmen. Dennoch ist es Zeit auch andere Seiten aufzuzeigen. Eines vorweg, ich verstehe diesen Humor nicht, er muss aber vorhanden sein. Anders kann ich mir die vielen Streiche nicht erklären, die mir der argentinische Staat spielte.

Der Grund, weshalb ich die Geschichte von mir, als Ich, zum Argentinier erzählen möchte, ist aber ein anderer. Ein Ämtertrauma hat mich ergriffen. Schlendere ich an einem Amt vorbei schnellt mein Puls in die Höhe und ich bekomme Hühnerhaut. Da ich nun so viele davon kenne, erweist sich mein Leben hier als Kreislaufachterbahn. Damit soll Schluss sein, schreib ich es mir doch von der Seele!
Alles ganz einfach
Eigentlich erscheint der Weg zur Staatsbürgerschaft ziemlich einfach - formal. Pack in deine Tasche deine Geburtsurkunde (natürlich mit Apostille und übersetzt), den argentinischen Personalausweis (D.N.I.) deiner Mutter (wie man zu dem kommt, würde den Rahmen der Geschichte sprengen) und eine langweilige Lektüre. Die D.N.I. zeigt die Staatsbürgerschaft deiner, also meiner Mutter und die Geburtsurkunde beweist, dass ich ihr Sohn bin. Logisch. Die Zeitschrift ist für die Wartezeit; langweilig weil man doch nicht zum lesen kommt. Dann geht's ab aufs Einwohneramt. Und fertig...

Einwohneramt früh Morgens:
...wäre da nicht die Geburtsurkunde seiner Mama. Die sollte er auch haben, erklärt die freundliche Beamtin. Ich erklärt freundlich die hätte er nicht aber dafür die D.N.I. Das sei schön, die Urkunde brauche er aber um zu beweisen, dass seine Mama hier geboren sei und nicht eingebürgert. Urkunde in der Schweiz, Ich an der Avenida Paseo Colón. Und die Geschichte beginnt.

Ich: Leidender Blick

Nette Dame: Lässt sich erweichen.

Nette Dame: "Dann geh doch mal zum Staatsarchiv und frag nach einer Kopie der Familienakte."

Ich: "Aber so eine Familienakte mussten wir doch bereits vor drei Monaten für meine Mama beantragen. Kann man nicht die brauchen?"

Nette Dame (fröhlich): "Nein das war doch für ein anderes Amt, das zählt nicht."

Ich: Dankt und verlässt Ministerium. Nach einem Marsch durch die ganze Innenstadt erreicht er das Archiv.

Staatsarchiv Pre-Informationsschalter:
Ich: "Ich brauche dringend eine Kopie der Familienakte, wie bekomme ich die?"

Beamtin Alejandra: "Kein Problem, für 50 Dollar kannst du ein Eilverfahren beantragen und du hast die Kopie schon morgen!"

Ich: "Aber dann verfällt mein Termin im Einwohneramt, der ist doch nur für heute gültig (eigentlich nur von 8-9 Uhr)"

Beamtin Alejandra: Schaut Ich kompromisslos an.

Ich: Trottet resigniert zum Schalter 3

Schalterdame 3: "Kopie von der Familienakte, klar, zeig mal die D.N.I. deiner Mutter."

Ich: Sucht Ausweis unter den vielen Dokumenten

Schalterdame 3: "Ach so doof! Wir haben nur ab Jahrgang 80 die Akten digitalisiert. Du musst dich trotzdem eine Woche gedulden. Da muss jemand ins Archiv runter und suchen."

Ich: Fällt auch beinahe runter durch den Boden ins Archiv und verlässt das Amt, sich kleinlaut bedankend. Organisiert anschliessend den Erhalt des Originaldokuments aus der Schweiz per Post.

Zehn Tage später, Paseo Colón:
Ich: Wieder im Einwohneramt. Der Geburtsschein war schnell in Buenos Aires, Ich hatte aber keinen Termin mehr und zudem wurde die Osterzeit über sechs Tage zelebriert (dank allgemein unbekannter Feiertage). Also zehn Tage Wartezeit.
Am Schalter will man Ich abwimmeln. Er solle aufs Migrationsamt, hier sei nur für Argentinier. Aber das versuche er doch krampfhaft zu werden, antwortet Ich. Ein Lächeln huscht übers Gesicht des Beamten. Wenn das so sei, solle er zum Schalter 8 und er wünscht ihm Glück. Ich weiss nicht, was er davon halten soll. 

Schalter 8, Wartenummer 788:
Nette Beamtin 1: "Ja alles super, die Dokumente sind komplett, frage aber zur Sicherheit die Chefin"

Nette Beamtin 2 (ungeduldig): "Hola ich bin die Chefin hier (sorry nette Beamtin, grimmige Chefin), die Übersetzung ist ok, braucht aber eine Apostille.

Ich: "Hat sie ja, sogar auf spanisch!"

Grimmige Chefin: "Ja aber auf dem Original, auf der Übersetzung braucht's auch eine und zwar von der argentinischen Botschaft in Bern"

Ich: Verzweiflung macht sich auf seinem Gesicht breit. 

Grimmige Chefin: Erweicht sich und klopft Ich auf die Schulter, wird liebe Chefin.

Liebe Chefin: "Geh doch zur Kanzlei und frag was da zu machen sei. Vielleicht gibt's ne Lösung, z.B. schickste die Übersetzung in die Schweiz und die machen das und dann zurück. Geh mal fragen, viel Glück!"

Ich: Erhält einen Zettel mit seiner nächsten Aufgabe


Kanzlei, Platz San Martín, Infoschalter:
In der Zwischenzeit hat Ich bereits eine internationale Geburtsurkunde im Einwohneramt St.Gallen bestellt.

Gutbeleibter Beamter: "Ach was, eine Botschaft hat keine Apostille, die muss vom Schweizer Amt kommen und das hat sie ja."

Ich (euphorisch): "Super! Dann passt alles?"

Gutbeleibter Beamter: "Ne ne, du brauchst doch eine Zertifizierung, dass die Übersetzung vom Original gemacht wurde"

Ich: erbleicht

"Aber kein Problem, dafür musst einfach ins Schreiberkollegium, hier schreibs dir auf. Viel Glück!"
Nächste Aufgabe
Strasse Callao und Las Heras am Infoschalter:
Hilfsbereiter junger Kerl: "Ach, da biste falsch bei uns. Wir beglaubigen nur Zertifizierungen, sorry aber dafür musst du ins Institut Olivares. Nimm den Bus 102. Bis bald!"

Ich: "Bis bald, wieso?"

Ich: Hofft es sei nur die Floskel "hasta luego" gewesen

Hilfsbereiter junger Kerl: "Na klar, du musst doch nach der Zertifizierung die Beglaubigung von der Zertifizierung machen lassen."

Hilfsbereiter junger Kerl: Lächelt

Ich: Zieht ein "wieso? was ist der Unterschied" in Erwägung. Macht aber Kehrt und steht auf der Callao.
Natürlich mit nächstem Zettel
Institut Olivares:
Bärtiger Experte: "Aber sicher können wir dir die Kopie zertifizieren. Zeig mal her."

Ich: Zeigt her.

"Aber das sind viele Blätter, es kostet pro Blatt. Und da ist ja auch eine Übersetzung angeheftet! Ich kann doch keine Übersetzung zertifizieren. Ich zertifiziere nur Kopien von einem Original!"

Ich: "Okay, dann lass die Kopie weg. Ich brauche nur eine Zertifizierung der Kopie vom Original, die sagt, dass die Kopie eine Kopie vom Original ist. Ich muss doch die Zertifizierung von der Kopie anschliessend beglaubigen lassen können, dass ein zertifizierte Kopie vom Original übersetzt wurde von einem Übersetzer, der das notariell beglaubigt hat."

Bärtiger Experte (leicht genervt): "Ist mir doch alles klar (Ich: denkt zumindest sei es einem klar). Dafür musst du aber eine Kopie vom Original machen und anschliessend zu uns kommen und die Kopie zertifizieren lassen. Nachher musst du eine Übersetzung machen lassen, die notariell beglaubigt ist. Ich kann doch nicht in eine bereits übersetzte Kopie eines Originals eine Zertifizierung der Kopie des Originals einfügen! Das ist ja schon alles zusammen getackert!"

Ich: Ihm scheint alles ziemlich spanisch. Und bleibt hartnäckig auf seinen Beinen stehen. 

Bärtiger Experte: "Na okay, ich nehme die Klammern raus und suche einen Platz für die Zertifizierung, wo keine Stempel von der notariell beglaubigten Übersetzung sind. Aber bleibt unter uns klar."

Ich: "Klar."
Zertifiziert
Ich: Versteht nichts, wartet, nimmt die Kopie des Original (das Original wurde nie verlangt) mit Zertifizierung und zahlt die Rechnung. Der leidende Blick weicht einem verwirrten. Bus 102 kommt. Ich steigt ein.

Busfahrer: "Wohin?"

Ich: "Zurück."

Busfahrer (leicht erstaunt und amüsiert): "Warst du im Institut?"

Ich: "Ja."

Busfahrer: "Ok, also Kollegium, setz dich."

Strasse Callao und Las Heras am Infoschalter:
Hilfsbereiter junger Kerl: "Hola! Hat aber ganz schön gedauert! Jetzt aber in den 1. Stock, dort kannst du die Beglaubigung machen lassen."

Ich: "Mhm."

Schalter 4, 1. Stock:
Ich: Schaut sich um. Sieht überall Stuhlreihen, besetzt mit meist schlafenden Personen. Einige lesen eine langweilige Lektüre. Der Mut von Ich sinkt.

Herr des Schalters: Emsig stapelt er Papiere, auf einem langen Tisch versucht er Ordnung in die Akten zu bringen. Rund 2 kg Papier fallen zu Boden.

Ich (schüchtern): "Entschuldigung! Kann ich hier meine Zertifizierung der Kopie des Originals beglaubigen lassen?"

Herr des Schalters: "Ja ja, leg alles auf die Theke und zahl an Schalter 7. Kannst in einer Stunde wieder kommen, dann ist alles fertig"

Ich: Legt das Dokument auf die Theke bevor es vom Herrn in einen Stapel gezogen wird. Ich schaut seinem Dokument sehnsüchtig nach.

Schalter 7, 1. Stock:

Ich: "Ich würde gerne bezahlen."

Dame der Kasse: "Sicherlich was denn? Wo ist deine Quittung?"

Ich (verwirrt): "Quittung? Hab ich nicht, ich will nur die Beglaubigung meiner Zertifizierung bezahlen."

Dame der Kasse: "Waaass?"

Herr des Schalters: Lehnt sich über die Theke.

Herr des Schalters: "Moni ist alles okay, er bezahlt 90."

Ich: Bezahlt anstandslos und verlässt den 1. Stock in Richtung Empanaderia und bestellt sich vier frittierte Empanadas (ungefähr eine für jede Stunde auf dem Amt heute). Ich blättert gelangweilt in der langweiligen Lektüre. 52 Minuten später steht er erneut an Schalter 4. Er erblickt die gleichen schlafenden Menschen und sieht, dass die Lesenden, genau wie er, nur etwa zwei Seiten geschafft haben.
Ich befürchtet Schlimmes! Und wagt sich in der Reihe nach vorne.

Herr des Schalters (beschäftigt): "Ja?"

Ich: "Ist meine Beglaubigung bereits fertig?"

Ich: Verspürt ein leichtes Zittern in den Beinen und trotz der Empanadas fühlt sich sein Mund trocken an.

Herr des Schalters: "Du? doch ist schon seit einer Weile fertig, du bist doch der mit dem komischen Nachnamen? Schlie... Schlierz.. ach schon gut, hier! Bis bald."

Ich: Greift zu und hofft erneut, dass es sich bei den letzten Worte bloss um eine Floskel handelt.
Beglaubigt
Ich: Macht sich leicht apathisch auf den erneuten Weg zum Einwohneramt. Er hat Bauchschmerzen und redet sich ein das käme von den Empanadas. Er weiss eigentlich besser wovon...









Freitag, 29. März 2013

Grossstadtdschungelgeysire

Ich hatte mich ja an das Leben im Walde gewöhnt. Und es war bedeutend ungefährlicher, als es gemeinhin angenommen wurde. Also sollte die Wildnis Grossstadt doch ein Leichtes sein. Es herrschen aber ebenso hier Gefahren. Trotz des Namens sollte dich Buenos Aires nicht in die Luft gucken lassen. Jeder Schritt auf den Trottoirs birgt Gefahren. Natürlich gibt es die Haufen der Hunde in den edleren Barrios, weit tückischer sind aber die sogenannten Fallsteine. Nichtsahnend schreite ich voran und plötzlich lässt der Boden unter mir nach. Eine Bodenplatte auf dem Gehsteig dreht sich und mein Fuss steckt im Untergrund. Glücklicherweise gibt es hier keine, wie in der georgischen Wildnis behauptet, Trolle in Höhlen, so komme ich mehrheitlich unbeschadet wieder auf die Erdoberfläche zurück. Bei Regen fürchte ich mich zusätzlich vor den Fallsteinen. Sie verwandeln sich zusätzlich zu Geysiren, wenn ich darauf trete, schiesst das gesammelte Regenwasser von unten durch die Ritzen hoch.
Untitled 
Mein Umfeld beglückwünschte mich ebenfalls, dass ich nun in der Grossstadt Abstand vom feurigen Schnaps aus dem wilden Kaukasus gewinne. Stimmt! Aber auch hier lauern Versuchungen hinter jeder Strassenecke. Eine Empanada schmeckt mindestens so gut wie eine Chatschapuri und zum Runterspülen gibt es auch Alternativen. So stellte ich erschrocken fest, als ich heute in einen Park ging, dass in meinem Beutel eine Thermoskanne und ein Becher steckten. Der Mate - er hat mich erwischt. Und so vergisst man auch bald die schmutzig nasse Hose von den Geysiren...
Die schönen Gefahren von BsAs



Samstag, 9. März 2013

Sicher! Freiheit!

Sie entwickelt sich ein bisschen zu meinem Lieblingsthema, die Bürokratie. Sie scheint mir allgegenwärtig. Auch wo ich herkomme, versucht sie mich zu fesseln, doch weiss ich dort besser ihr zu entfliehen.
In Buenos Aires bin ich noch nicht so ortskundig. Obwohl, die kleine Geschichte hier hat eigentlich gar nichts mit ihr zu tun. Die Schuld bekommt sie trotzdem. Diese Woche musste ich auf die Botschaft. Die Schweizer? nein, die Argentinische? nein, sondern auf die Deutsche. Dort konnte ich eine Übersetzung abholen. Pünktlich wie eine Schweizer Uhr wollte ich mich früh auf den Weg machen, doch meine Dokumente habe ich am Vortag in einem Büro einer Stiftung vergessen. Also zuerst dort hin, aber ganz tranquillo, heute erlaubt die Alarmanlage im Büro keinen Eintritt vor 9.30 Uhr. Der Sicherheit wegen.
Letztendlich habe ich die Dokumente in der Tasche. Jetzt aber los. Bei der Botschaft angekommen, fragt der Wächter:

"Was wollen Sie?"

Meine Antwort:

"Die Übersetzerin treffen."

Er wiederum:

"Das ist hier eine Botschaft, brauchen Sie ein Visum?"

Mein freundlichstes Ich:

"Ach, danke für die Info, aber ich habe einen Termin."

Der Sonnenschein mir gegenüber:

"Na dann, alle elektronische Geräte abgeben."

Und die Sicherheitstür öffnet sich. Nach drei weiteren sitze ich im Warteraum. Die Übersetzerin begrüsst mich. Es scheint alles zu klappen. Sie geht nochmals kurz für eine Kopie raus und dann, dann...
Dann fällt das System für die Sicherheitstüren aus. Ich sitze wie irgendein Reptil im Glaskasten und schaue den Sicherheitsleuten zu, wie sie rumrennen und versuchen die Türen auf zu bringen. Die Übersetzerin winkt mir zu, ich winke zurück. Ich zähle die Sekunden auf der Uhr, man soll sich ja in Geduld und Konzentration üben. Und ich denke an den Spruch, der mir gesagt wurde, als wir in einer Villa (Armutsviertel) ein Sozialprojekt besuchen durften: "In eine Villa hinein kommt man immer." Bei der Botschaft war das Hineinkommen schon schwierig und über das Herauskommen will ich gar nicht nachdenken. Sowieso besser, lenkt mich bloss vom Warten ab.
In anderen Ländern reicht auch einfach eine  Plombe für die Sicherheit der Türen
Nach geraumer Zeit reicht es mir und ich will diesen Moment festhalten. Ich suche mein Handy, um Fotos zu schiessen. Doch wo ist es? Alles durchsuche ich. Dann nochmals, habe ja Zeit. Draussen schaut man mir zu wie einem Tango tanzenden Gekko im Terrarium. Mir egal, wo ist mein Handy! Also das ist doch die Höhe! In die Botschaft hinein zukommen ist schwierig, raus eventuell unmöglich und geklaut wird hier wohl auch öfters, als in den berüchtigten Viertel!
Ach, ganz vergessen, die Konzentration. Ich zähle wieder die Sekunden. Und da, Heureka! Nicht das Handy aber meinen Verstand. Ich musste doch alle elektronischen Geräte beim charmanten Wächter abgeben. Und siehe da, ein Wachmann kommt mit dem Schlüssel und entlässt mich. Die Übersetzerin gibt mir alle Dokumente und wünscht mir ¡suerte! Danke, kann ich brauchen.
Dass die Geschichte hier eigentlich noch nicht zu Ende ist, lasse ich jetzt weg (eine Übersetzung wird erst akzeptiert, wenn sie beglaubigt wurde, was ein weiteres Amt bedeutete).
Gestern geriet ich dann in die Demonstration des Tages der Frauen. Nachhause gehen oder mitziehen? Ich zögere, bunte Gruppen ziehen mit Fahnen an mir vorbei. Da sehe ich einige Banner, die "Libertad" fordern. Ich besann mich und folgte ihnen...
Richtung Freiheit

Samstag, 2. März 2013

Vertraut exotisch

Im Europa Südamerikas lebt es sich ja bekanntlich federleicht. Wenn nicht zufällig eine Staatskrise, -bankrott, -diktatur, -präsidentin dazwischen kommt ist es für mich doch beängstigend vertraut hier. Dachte ich zumindest - denke ich auch noch mehrmals täglich.
Bin ich aber unterwegs in dieser riesigen Stadt zeigen mir kleine Dinge immer wieder, dass ich mir nicht zu gewiss sein sollte. So wollte ich mir einen Jugo, frisch pürierter Fruchtsaft machen. Kein Problem ab in den Supermarkt, heisst sogar hier Carrefour. Die Vitamintheke gähnt mich mit grosser Langeweile an. Die exotischste Variante wäre Apfel-Banane-Pflaume. Also weiter in einen sogenannten Chino. Hier wird man bedient, wie in einem Tante Emma Laden, die Auswahl gleicht diesem aber auch. Ich frage, hat's nichts tropisches? aus dem nahen Norden? No señor! Auf der Glastheke sehe ich aber etwas komisches und frage danach, fast hoffend keine Antwort zu bekommen. Meine Ahnung wurde bestätigt, da liegen zwei Gürteltiere, bereits fein säuberlich ausgenommen. Ein Foto solle ich davon nicht machen, obwohl dem Ladenchef auch nicht ganz klar zu sein scheint weshalb nicht.
Ok, genug exotisches. So gehe ich weiter und suche mir ein Café. Hier bekomme ich einen frisch gepressten Orangensaft, guter Kompromiss. Leicht verträumt (ist ja Wochenende, was ganz schön anstrengend für mich als Lerche ist) schlürfe ich auf der Suche nach Energie meinen köstlichen Saft und spiele mit dem Salzstreuer in meinen Fingern. Als ich aufblicke sehe etwas schwarzes im Salz, iiihh! Ach nein, sind nur Kaffeebohnen. Scheint so gut zu funktionieren wie Reiskörner, was mein Streutest bewiesen hat. Denn ich musste ja prüfen, ob das Salz nach Kaffee schmeckt, für mich als kein Kaffeetrinker entscheidend. Und nein nur salzig, hatte aber ja auch nie das Gefühl, das Schweizer Salzstreuersalz schmeckte nach Reis. Apropos Salzstreuer, ich habe ja eigentlich gehört, dass diese hier nicht auf dem Cafétisch stehen dürfen - Gesundheitsamt. Mir kam es gelegen, mit Saft und Salz gegen meine Dehydration ankämpfend mache ich mich gestärkt weiter.
So viele Gedanken über Salz lassen mich zu einem hübschen Geschäft schlendern. Hier gibt es jede Menge Gewürze. Eigentlich sollte es eher im alten Europa schwierig sein an exotische Gewürze zu kommen und man müsste ein Kolonialwarengeschäft aufsuchen. Es erweist sich aber hier problematischer. Da ist mir dieses Geschäft besonders lieb. Die Taschen gefüllt mit Anis, Paprika und Curry freue ich mich schon auf das heutige Fleisch.
Für das Abendessen ist es aber noch weit zu früh. Ich entscheide mich für eine Merienda, ein Nachmittagssnack. Da kommt mir auf meinem Nachhauseweg ein kleines Geschäft ganz gelegen. Eine Sandwicheria. Ich bestelle mir an der Theke ein Sandwich, erst versuchte ich es mit einem bocadillo. Der Herr auf der anderen Seite schaut mich aber nur verlegen an. Dann eben ein Sandwich, queso y jamón. Ist mir ja vertraut, ebenso wie die folgende Frage des Herrn: "¿Qué más?" Und bevor ich ablehnen wollte schaue ich mich um und frage, ob ich ein Telegramm hier verschicken könne? No señor, hier gibts nur Sandwichs, Fotokopien, Internet und Fax. Ok, also nichts mehr sonst.
Interessantes unbekanntes Geschäftsmodell

Dienstag, 12. Februar 2013

Tango compartido?

Teilen gehört doch zu einem Leben in einer Gemeinschaft. Klar, alleine geht's nur halb so gut und Solidarität ziemt sich. Über die Vorzüge des Teilens hab ich schon in verschiedenen Situationen berichtet, aber trotzdem, neuer Ort, gleiches Thema.
Ob im Büro, WG oder Park einen Mate geniesst man gerne in Gesellschaft und lässt ihn kreisen. So schlürfe ich mich durch Buenos Aires und fühle mich als hätte es nie Kaffee gegeben. Mir ja ganz recht, viele Kaffeekränzchen musste ich schon sausen lassen (bekanntlich trinke ich ja keinen Kaffee). Hier bin ich in die gesellschaftliche Sitte vollends integriert.
Zum Fyrobig-Bier bestellt sich niemand eine Stange noch ein Grosses, natürlich gibt es eine Flasche, die geteilt wird. Sicherlich spielt da auch der Bierpreis mit, der horrend ist.
Manchmal geht man auch zum Krug über
Beim Fleisch im Restaurant geht es jedoch nicht um den Preis, sondern um die Magenkapazität, also wird das Bife de Chorizo geteilt.
In meinen ersten Tagen in Buenos Aires dachte ich es verhält sich auch bei der politischen Einstellung so. Die Meinung wird geteilt. Wo auch immer ich hin kam, bis jetzt fand ich noch keinen von Cristina Fernández de Kirchners Getreuen. Als ich mir einen Tisch für mein neues Zuhause kaufte, war das Verkaufsargument des Standbetreibers, dass dank Cristinas Geldpolitik mein Geld morgen sowieso weniger wert sei, also gleich heute kaufen. Beim Kauf eines Bustickets verhielt es sich ähnlich, besser ich kaufe auch gleich die Rückfahrt (allfällige Umbuchungsgebühren werden von der Inflation gedeckt). Die neu geschaffenen Feiertage (keiner konnte mir erklären was gefeiert wird) werden natürlich genossen, gedankt wird aber nicht Frau Kirchner. Und wenn wieder Bilder der Präsidentin auf dem internationalen Parkett auftauchen teilt man sich gemeinsam eine gewisse Fremdscham. Und mir wird stets versichert, sie hätte nichts mit uns Argentiniern zu tun.
Und doch - es gibt die Eigenbrötler, die nicht diese Meinung teilen. Wohl auch mitunter Grund, weshalb Cristina schon ihre zweite Amtszeit bestreitet. Ein unschuldiger Spaziergang durch San Telmo hat mir das vor Augen geführt. Touristisch bewaffnet mit Fotokamera und Sonnenbrille schlenderte ich durch die alten Gassen Buenos Aires. Hier ein Schnappschuss, da ein Orangensaft. Und plötzlich erblicke ich ein ideales Sujet, das Lokalbüro von La Cámpora San Telmo. Nach nur kurzer Zeit in Argentinien habe ich schon einiges über diese undurchsichtige Organisation erfahren. Ihr Zweck ist die unbedingte Loyalität und Unterstützung der Präsidentin. Auch als Militanz verstanden, nutzen sie so ziemlich jegliche Mittel für ihre Zielerreichung. Natürlich besitzt nicht nur die Präsidentin eine eigene Jugendmilitanz aber sicherlich sind die Camporisten derzeitig die einflussreichsten. Und ebenso klar ist, dass ihre Untertänigkeit nicht ganz selbstlose Ursprünge besitzt, sondern ein grosses klientelistisches Netzwerk dahinter steht.
Aber jetzt wieder zurück zum Lokalbüro San Telmo. Ein bisschen schüchtern knipste ich aufs Schaufenster zielend. Die Mitglieder im Büro hatten daran aber wenig Freude und stellten ihren Mate beiseite (apropos sie liessen ihn auch kreisen) und kamen raus. Sie fragten mich, weshalb ich ihr Büro fotografiere. Mein Spanisch und Äusseres erlaubten mir glücklicherweise die Ausrede, ich sei bloss Tourist und sei einfach so am fotografieren. Situation geklärt.
Und so teilten sich unsere Wege. Doch wer weiss vielleicht gibt es noch einen zweiten Teil der Geschichte. Das Lokalbüro ist auch ein Kulturzentrum und bietet am Wochenende Tango für alle an. Zumindest denke ich es ist Tango, bei den Camporisten heisst es anscheinend Militango para todos.
Lokalbüro mit Veranstaltungstipps z.B. Militango

Freitag, 1. Februar 2013

Qué más?

Was? nein eigentlich stellt sich mir die Frage wie viel mehr.
Der Mensch ist ja bekanntlich ein Gewohnheitstier, das doch stets das andere sucht. Mir geht es da nicht anders. In den georgischen Wäldern herumlungernd träumte ich schon von der warmen Brise, des Rio de la Plata.
Und wo ist jetzt das Mehr? Unbestritten finde ich das Mehr in der Bevölkerung. Vom 7´000 Seelendorf in Lagodechi zur Grossmetropole Buenos Aires mit knapp 3 Millionen Einwohnern. Ich denke die Quantität spricht für sich, zur Qualität würde und könnte ich mich nicht äussern. Auf was ich mich aber auslassen würde, ist zu sagen, dass es anders ist, sehr anders.
Entspricht nicht dem Gewohnheitstier, ich verstehe. Obwohl irgendwie doch, denn ich bin ja nicht Tiflis-Buenos Aires direkt geflogen. Um sich zu gewöhnen verbrachte ich ja eine schöne Zeit in der lieben, wohlbekannten Schweiz. Ein ideales Stufentraining, vom pittoresken Landsitz im tiefen Thurgau, über die mondäne Stadt an der Limmat, bis hin zur politischen Kleinhauptstadt Idylle, überall stand eine bequeme Couch für mich bereit. An dieser Stelle merci.
Qué más? Naja an dieser Stelle werdet ihr weitere Eindrücke zu lesen bekommen, weniger naturnah und dafür umso städtischer.
Küche: Garantiert mausfrei